Theresianische Gedichte

Das Lied vom heutigen Tag (1.6.1894)

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Erbeten von Schwester Marie vom heiligsten Herzen zu ihrem Namenstag

Ein schwaches Geschöpf, das nichts für den folgenden Tag versprechen oder erbitten kann, weil es seiner selbst nicht sicher ist, dennoch aber ganz an Gott hingegeben, nimmt alles an im Vertrauen auf seine Gnade, auch Prüfungen und Leiden, wie es besonders in der vierten Strophe ausgedrückt wird.



So schnell die Zeit vergeht,
so schnell vergeht das Leben,
und näher kommt der Tod
mit jedem Stundenschlag.
Zu lieben, dich mein Gott,
hast du mir nur gegeben
den heutigen Tag!

Muss ich im Dunkeln gehen
auf unbekannten Wegen,
sollt ich da fürchten mich
vor dem, was kommen mag?
Bewahre rein mein Herz
und schenk mir deinen Segen
am heutigen Tag!

Wenn ich an morgen denk' ,
dann fürcht' ich mein Versagen,
und schon erahnt mein Herz
Verdruss und Schicksalsschlag;
doch will ich, Herr, für dich
gern Leid und Prüfung tragen
am heutigen Tag!

Aus meinem Herzen wird
dich keine Angst vertreiben,
und nie wird schrecken mich,
was finstre Macht vermag,
ach, lass mich nur, o Herr,
in deinem Herzen bleiben
am heutigen Tag!

Bild einer Seele, die ich liebe (1.6.1894)

Zum Namenstag von Schwester Marie vom heiligsten Herzen

Das Akrostichon vervollständigt das dichterische Geschenk Theresias an ihre Schwester. Es handelt sich hier um ein ganz persönliches Geschenk. Vom achten Vers an zeichnet Theresia das wahre Bild ihrer Schwester und wie ihre Natur in den Bann des göttlichen Herzens gezogen wird.


Fest des heiligsten Herzens
Marie vom heiligsten Herzen

M - Ich kenne ein Herz, eine ganz Liebe erfüllte Seele,
A - einen erhabenen Glauben hat sie vom Himmel empfangen.
R - Nichts kann hienieden diese brennende Seele entzücken:
I - Nur Jesus gibt es für sie, den sie ihren König nennt.
E - Kurzum, diese schöne Seele ist groß und hochherzig,
D - liebevoll und lebhaft zugleich, immer demütig von Herzen.
U - Ein ferner Horizont ... ein leuchtender Stern
S - genügen sehr oft, um sie dem Herrn zu einen.
A - Einst sah ich sie voll Liebe zur Unabhängigkeit
C - das reine Glück suchen und die wahre Freiheit ...
R - Wohltaten auszuteilen, war ihre Freude
E - und immer sich selbst vergessen, ihr einziger Wille! ...
C - Das göttliche Herz war es, das diese Seele in Bann zog,
OE - Werk seiner Liebe, des Schöpfers würdig.
U - Eines Tages werde ich sie erblicken, wie sie als reine Flamme
R - im Himmel erstrahlt beim heiligsten Herzen. Ein dankbares Kinderherz.

Prosaübersetzung aus: M. Breig (Hrsg.), Gedichte der heiligen Theresia von Lisieux, Johannes-Verlag, Leutesdorf, 2. Auflage 1977.

Blumen streuen (28.6.1896)

Für Mutter Agnes von Jesus (Pauline) zum Namenstag

Jesus, du bist meine einzige Liebe.
Drum möcht' ich am Fuße des Kreuzes dir
an jedem Abend Rosen dann streuen
und trocknen die Tränen mit Blättern dir.

Streu ich dir Rosen, möcht' ich dir was geben;
die leisesten Seufzer, den größten Schmerz,
all meine Leiden, aber auch meine Freude.
Das sind meine Blumen für dich, mein Herz.

Herr, deine Schönheit begeistert die Seele,
verschwenden möcht' ich mich an dich ganz und gar.
Ich möchte die Blumen dem Wind anvertrauen,
damit sich die Herzen entzünden, fürwahr.

Streu ich dir Blumen, ist das meine Waffe,
die armen Seelen will retten nun ich.
Du bist entwaffnet, ich kann dich besiegen
mit Rosen, die ich nur streue für dich.

Die Blumenblätter liebkosen dich gern.
Sie sagen, mein Herz gehört dir allein.
Du kennst die Sprache der Blätter genau,
zu meiner Liebe lächelst du fein.

Blumen streuen, den Lobpreis dir bringen,
das tu ich in diesem Tränental gern.
Im Himmel werde ich mit den Engeln dann gehen,
um Blumen zu streuen ganz nah und ganz fern.

(In Anlehnung an die Prosaübersetzung von Pater Maximilian Breig von mir in Reimform übertragen.)

An unseren Vater, den heiligen Josef (1894)

(Betrachtung und Dienst für Jesus und Maria in Armut und Einsamkeit sind die Merkmale des verborgenen Lebens des heiligen Josefs, aber auch die Kennzeichen des Lebens einer Karmelitin.)

Joseph, dein bewundernswertes Leben
verlief in Armut,
doch du sähest die Schönheit
von Jesus und Maria.

Joseph, zärtlicher Vater,
beschütze den Karmel,
damit deine Kinder auf dieser Welt
immer den Frieden des Himmels verkosten!

Der Sohn Gottes, in Seiner Kindheit
deinem Befehl unterworfen,
schlief mehr als einmal
glücklich an Deinem Herzen.

Wie du, so dienen auch wir
Maria und Jesus in der Einsamkeit.
Ihr Gefallen ist unser einziges Verlangen;
mehr ersehnen wir nicht.

Die heilige Teresa, unsere Mutter,
rief dich voll Liebe an.
Sie versichert, dass du ihr Gebet
immer erhört hast.

Wir haben deshalb die süße Hoffnung,
dass wir nach der Verbannung dieses Lebens
mit unserer geliebten Mutter hingehen werden,
um dich zu schauen, heiliger Joseph!

Segne, zärtlicher Vater,
unseren kleinen Karmel!
Nach der Verbannung dieser Erde
vereinige uns im Himmel!



Prosaübersetzung aus: M. Breig (Hrsg.), Gedichte der heiligen Theresia von Lisieux, Johannes-Verlag, Leutesdorf, 2. Auflage 1977.

Die Sakristaninnen des Karmel (Nov. 1896)

1. Uns’re Aufgab’ hier auf Erden
ist herzurichten den Altar,
das Brot, den Wein, die Opfergabe,
die bringt der Erd’ den Himmel dar.

2. Der Himmel, oh, du groß Geheimnis,
verbirgt sich hinter schlichtem Brot,
denn der Himmel, das ist Jesus,
erscheint für uns im Morgenrot.

3. Nicht eine Königin auf Erden
kann glücklicher noch sein als wir
und uns’re Aufgab’ ist das Beten,
das uns vereint mit Jesus, dir!

4. Die größte Ehrung dieser Welt
kann überhaupt sich nicht vergleichen
mit himmlich tiefem Frieden wohl,
den Jesus uns lässt dann erreichen.

5. Wir bringen gern zum Werk der Hände
ein heiliges Verlangen mit,
wohlwissend, dass das göttlich’ Lamm
in die weiße Hostie tritt.



In Anlehnung an die Prosaübersetzung von Pater Maximilian Breig

6. Denn seine Lieb’ hat uns erwählt,
ist uns ein Freund, ein Bräutigam.
Und Hostien sind wir selber dann,
uns zu verwandeln zu uns kam.

7. Erhabene Mission des Priesters,
du wirst auf Erden uns geschenkt,
transformiert durch Gott, den Meister,
er ist’s, der uns’re Schritte lenkt.

8. Wir müssen den Aposteln helfen
durch lieben, beten, keine Frag’,
denn ihr Schlachtfeld ist auch unser,
im Kampf für sie, das jeden Tag.

9. In dem Tabernakel birgt sich
Gott, doch auch im Herzen nun.
Er verzeiht auf unser Bitten
hin den Sündern dann ihr Tun.

10.Unser Glück und unser Ruhm
ist für Jesus uns zu schinden.
Sein schöner Himmel ist ein Reich,
wo Erwählte sind zu finden.



habe ich eine lyrische Form dieses Gedichts versucht.

Warum ich dich liebe, Maria (Mai 1897)


Von meiner Liebe, Mutter, möchte ich dir singen,
warum dein Name süß so tief mein Herz berührt,
warum es deiner Herrlichkeit nie wird gelingen,
dass meine Seele vor dir Angst verspürt. ( ... )

Liebt eine Mutter nicht das Kind auf ihren Knien?
Sie leidet, wenn es weint und teilet seinen Schmerz.
So wolltest, Mutter, mich in Liebe an dich ziehen
und manche Träne hat um mich geweint dein Herz.

Wenn ich im Evangelium dein Leben lese,
dann find' ich Mut zu nah'n dir und dich anzuschaun,
dann ist's als wär ich immer schon dein Kind gewesen,
denn sterblich warst du und geprüft wie alle Frau'n. ( ... )

So lang ich hier auf Erden noch muss schmachten,
lass, Mutter, immer mich geborgen sein in dir,
um deiner Seele Tiefe staunend zu betrachten,
und Abgründe der Liebe sich eröffnen mir. ( ... )

So wie dein Sohn, so liebst auch du uns, Jungfrau reine,
für uns warst du bereit, von Jesus fortzugehn,
lieben heißt alles geben und sich selbst verneinen,
drum gabst du alles preis, nur um uns beizustehn. ( ... )

Bald hör' ich, Mutter, Himmelsklänge fern und vage
und schaue deine Schönheit überm Sternenzelt,
du lächeltest mir zu am Morgen meiner Tage,
o Mutter, lächle mir auch, wenn der Abend fällt.

Ich fürchte längst nicht mehr die Glorie deiner Krone,
denn mit dir teilt' ich deine Schmerzen, Königin;
von meiner Liebe sing ich dir und deinem Sohne,
und ewig will ich danken, dass ich dein Kind bin!




aus: Lieder der Liebe, Therese von Lisieux, Gedichte und Gedanken, ausgewählt, übersetzt und nachgedichtet von Fr. Xaver Janssen CP, Vier-Türme-Verlag Münsterschwarzach, 1996.

Mein Himmel für mich (7. Juni 1896)


Verbannung im Tale der Tränen ertragen,
mein Gott und Erlöser, da brauche ich Dich.
Dein liebender Blick lässt vieles erahnen,
das himmlische Glück lässt vorausfühlen mich.
Mein Jesus, Du lächelst mir zu, wenn ich seufze,
dann fühle ich nicht mehr die Qualen an sich.
Der Blick meines Gottes, Sein zärtliches Lächeln,
sieh, das ist dann der Himmel für mich.

Mein Himmel für mich ist, Gnaden zu lenken
von Jesus auf Seelen, auf Kirche, auf all’,
die göttlichen Flammen, sie sollen entzünden
die Herzen der Menschen, erfreu’n überall.
Dies und noch mehr kann ich gern erlangen,
wenn ich im Verborg’nen von mei’m Herz an Dich
ich bete und ganz nah bei Dir mich nun fühle,
sieh, das ist dann der Himmel für mich.

Mein Himmel, er ist in der Hostie verborgen.
Oh, Jesus, mein Liebster, dort bist Du verhüllt.
Ich komme zu Dir an die göttliche Quelle,
dort wird dann mein großes Verlangen gestillt.
Dort hörst Du mich, Retter, bei Tag und bei Nacht
und welch ein Glück, wenn zärtlich Du mich
verwandelst, Geliebter, und gibst auf mich acht.
Sieh, das ist dann der Himmel für mich.

Mein Himmel ist, mich ähnlich zu fühlen
mit Gott, der mit seinem mächtigen Hauch
mich hier erschuf, drum möchte ich bleiben
bei meinem Vater, denn das ist Er auch.
In göttlichen Armen, da möcht’ ich Sein Kind sein;
nicht Sturm noch Gefahr würd’ fürchten ich.
Ich würde nur schlummern an Seinem Herzen.
Sieh, das ist dann der Himmel für mich.

Mein Himmel ist für mich dreifaltig einer
und wohnt gefangen in Liebe in mir.
Dort will ich dann gern meinem Gott wiederholen:
Dich will ich lieben und dienen nur Dir.
Zu Ihm will ich lächeln, wenn Er ist verborgen,
will Er, ob ich glaub’, vergewissern Sich
und leidend wart’ ich, dass Er mich anschaut,
sieh, das ist dann der Himmel für mich.

(In Anlehnung an die Prosaübersetzung von Pater Maximilian Breig habe ich eine lyrische Form dieses Gedichts versucht.)

Mich dürstet (31.5.1896)

Aus Liebe lebtest du verbannt auf Erden,
aus Liebe, Herr, gabst du dich für mich hin,
nun lass auch mich für dich zum Opfer werden,
denn leiden, sterben ist mir nur Gewinn.
Das Höchste, das ein Mensch kann geben,
- du, Jesus, hast es uns gelehrt, -
ist opfern für den Freund sein Leben,
wer ist, wie du Herr,
solcher Liebe wert?


Es ist schon spät, der Abend geht zur Neige,
Herr, auf dem Weg gib sicheres Geleit,
dass ich mit deinem Kreuz den Berg besteige,
geh' mir voran, der Gipfel ist noch weit.
Dein Wort hallt nach in meiner Seele,
dir will ich, Herr, gleichförmig sein,
auch mir das Kreuz zum Anteil wählen,
ach, brenn' dein Wort mir tief
ins Herz hinein.


Den ewigen Sieg hast du dir schon errungen,
und jubelnd preist dich, Herr, der Engel Chor;
doch dulden musstest viel' Erniedrigungen,
um einzugehen durch des Himmels Tor!
Verachtung musstest für mich tragen
und Schmach und Hohn in fernem Land;
auch ich will dulden ohne Klagen
und letzte sein
für dich und unbekannt!

Ich will, von deinem Beispiel angetrieben,
der Ehre fliehen und demütigen mich,
will zärtlich, wie ein Kind, dich lieben,
denn wenn ich klein bin, Herr, erfreu' ich dich.
Die Einsamkeit nur gibt mir Frieden,
nichts bleibt mir noch zu wünschen hier,
als zu gefallen dir hienieden
du, meines Herzens
innigste Begier!

O, Gott, du wohnst im höchsten Himmelskreise,
doch gabst dich mir gefangen gnädiglich,
und deine Stimme spricht zu mir ganz leise:
"Mich dürstet, ach, nach Liebe dürstet mich!"
Bin nicht auch ich in dir gefangen
und du nicht sichere Obhut mir? Hör meiner Seele tiefst Verlangen:
"mich dürstet, Herr,
mich dürstet auch nach dir!"

Nach Liebe schmachte ich, erfüll' mein Hoffen,
entzünde ständig in mir ihre Glut;
hat mich der Minne Pfeil ins Herz getroffen,
dann flieh' ich hin zu dir, mein höchstes Gut.
Die Liebe soll mich ganz verzehren,
je stärker sie entfachtet sich
je heißer werd' ich dich begehren,
o Jesus,
lass aus Liebe sterben mich ...!




Aus: Lieder der Liebe, Therese von Lisieux, ausgewählt, übersetzt und nachgedichtet von
Franz Xaver Janssen CP, Vier-Türme-Verlag, Münsterschwarzach, 1996.

Lobesang einer Seele, die den Ort ihrer Ruhe gefunden hat (15.8.1895)

Zum Eintrittstag von Marie Guérin in den Karmel, der Cousine von Therese



O Jesus! An diesem Tag zerbrichst Du meine Bande ...
Hier im gesegneten Orden der Jungfrau Maria
Werde ich die wahren Güter finden können.
Herr, wenn ich meine geliebte Familie verlassen habe,
Wirst du sie mit göttlichen Gunsterweisen zu erfüllen wissen.
Mir selbst wirst Du die Verzeihung schenken, die den Sündern gilt ...

Jesus, ich will im Karmel leben,
Denn in diese Oase hat mich Deine Liebe gerufen.
Dort, ja, dort will ich Dir folgen.
Dich lieben, Dich lieben und sterben.
Dort will ich Dir folgen,
Dort, ja, dort ...

O Jesus, an diesem Tag erfüllst du alle meine Wünsche.

Von jetzt an werde ich nahe der Eucharistie
Mich im Schweigen opfern können, im Frieden den Himmel erwarten.
An diesem Herd der Liebe werde ich mich verzehren,
Mich den Strahlen Deiner göttlichen Hostie aussetzend,
Und wie ein Seraph werde ich, Herr, Dich lieben.

Jesus, bald soll ich Dir folgen
Zum ewigen Gestade, wenn meine Tage enden werden.
Immer, ja, immer, wollt ich im Himmel wohnen,
Dich lieben und nicht mehr sterben ...
Immer soll ich im Himmel leben, immer, ja, immer! ...

Prosaübersetzung aus: M. Breig (Hrsg.), Gedichte der heiligen Theresia von Lisieux, Johannes-Verlag, Leutesdorf, 2. Auflage 1977.