Predigt

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

wenn wir uns einmal zu Beginn dieser Ansprache fragen, was denn für die kleine Thérèse das Eigentliche, der Kern, die Mitte ihrer Botschaft an die Kirche und damit auch an uns ist, so gibt es darauf keine bessere Antwort als die: die Liebe und das Vertrauen! Die kleine Thérèse ist die Heilige der Liebe und des Vertrauens! Schauen wir uns das einmal näher an, und zwar anhand eines ihrer berühmtesten Briefe, den sie ein Jahr vor ihrem Tod an ihre älteste Schwester Marie geschrieben hat. Darin soll sie ihrer Marie erklären, was sie denn eigentlich unter ihrer kleinen Lehre versteht...
Die kleine Thérèse hat ihren Brief nun interessanterweise gar nicht mit der Beschreibung ihres kleinen Weges begon-nen, sondern mit den Gnaden, die Jesus ihr im Lauf ihres kurzen Lebens im Übermaß geschenkt hat und mit ihren ans Unendliche grenzenden Wünschen und Hoffnungen, die in ihrer kleinen Seele sind! An welche Gnaden hat sie dabei aber denn gedacht? Zunächst an die Gnade der Berufung zur Karmelitin, zur Braut Jesu, und auch zur Mutter der Seelen. Sie fühlt aber noch weitere Berufungen in sich, so zum Krieger für Gott, zum Priester, zum Apostel, zum Kirchenlehrer, zum Märtyrer usw. Das heißt: Die kleine Thérèse will für Jesus die heroischsten Werke vollbringen, die es gibt. Aber wie soll sie das alles denn gleichzeitig tun können? Gibt es denn auf diese Frage eine Antwort? Die kleine Thérèse findet eine: nämlich die Liebe! Die Liebe ist die Mitte all dieser Berufungen, sie ist das Herz all dieser Berufungen! Ohne diese Mitte, ohne dieses Herz, ohne die Liebe sind all diese Berufungen wertlos, ja, ohne sie gibt es sie gar nicht! Erst die Liebe verleiht ihnen die Strahlkraft, die Wirksamkeit und dadurch werden sie wertvoll in den Augen des ewig liebenden Gottes! Und so schreibt die kleine Thérèse in überschäumender Freude: O Jesus, endlich habe ich meine Berufung gefunden, MEINE BERUFUNG IST DIE LIEBE! Das heißt: das Innerste, die zentrale Mitte der kleinen Thérèse ist die Liebe! Dank der Liebe ist sie aber auch in der Mitte, im Herzen der Kirche, denn die Kirche lebt letztlich von nichts anderem als von der Liebe und vom Sakrament der Liebe: von der heiligen Eucharistie! Ja, die Liebe ist das Herz der Kirche und das kann auch gar nicht anders sein, weil die Kirche ja der mystische Leib Christi ist und ist Jesu Herz nicht die Liebe?

Die kleine Thérèse hat also in der Liebe ihre innerste Berufung gefunden! Wer hat ihr aber denn diese einmali-ge Entdeckung der Liebe als die Mitte aller Berufungen geschenkt? Niemand anderer als ihr Jesus, die Liebe in Person! Sie weiß sich entsprechend auch unendlich von der Liebe Gottes geliebt! Aber wie kann sie ihm seine Liebe denn vergelten? Doch nur durch eines: durch ihre Liebe! Liebe wird ja nur durch Liebe bezahlt, so sagte es einmal unser heiliger Ordensvater Johannes vom Kreuz Also will die kleine Thérèse alles aus Liebe tun, die geringsten Dinge des Alltags sollen nur noch Liebesbeweise für ihren vielgeliebten Jesus sein! Jeder kleine Verzicht, jedes kleine Opfer, jeder kleine Dienst an den Mitschwestern, ja, alles, selbst wenn sie ein Streichhölzchen vom Boden aufhebt, alles will sie nur noch aus Liebe tun, durch all das will sie ihrem Jesus Blumen der Liebe streuen! Aber sie merkt, dass sie das gar nicht so konsequent kann, wie sie es möchte, sie merkt, wie sehr auch sie nur ein Mensch ist, schwach, arm, klein, ja, zu klein, um die Liebe bis ins Kleinste hinein leben zu können! Und sie vergleicht sich in dem eingangs erwähnten Brief mit einem kleinen Vogel, der sich von seinem Liebesdienst immer wieder ablenken lässt, indem er einmal zur Linken, einmal zur Rechten ein Körnchen aufpickt, indem er einem kleinen Wurm nach-läuft usw., kurz: der kleine Vogel Thérèse beschäftigt sich, weil er eben so klein ist, immer noch mit den Belanglosig-keiten dieser Erde! Doch statt sich nach all diesen alltägli-chen Unvollkommenheiten in eine Ecke zu verkriechen, setzt der kleine Vogel seine kleinen Flügel, die von den begangenen Unvollkommenheiten ganz durchnässt sind, der ewigen Liebessonne aus, bekennt Jesus seine kleinen Treulosigkeiten und vertraut in einer verwegenen Hingabe ganz auf die barmherzige Liebe Jesu, der ja nicht gekom-men ist, die Gerechten zu rufen, sondern die Sünder! Und so beginnt der kleine Vogel sein Amt der Liebe wieder von neuem!

Der kleine Vogel lebt die Liebe aber nicht einfach nur so in dieser Welt, vielmehr hat sein kleines Leben ein Ziel: sein Ziel ist der ewige Feuerherd der glückseligen Dreifaltig-keit! Aber wie soll der kleine Vogel dahin gelangen, er, der doch so schwach und so klein und so unvollkommen ist? Er sieht, dass die großen Heiligen der Kirche, die die kleine Thérèse mit Adlern vergleicht, sich mit ihren gro-ßen, vollkommenen Flügeln zum Feuerherd der ewigen Liebe emporschwingen, aber wie soll er, der kleine, unvoll-kommene Vogel, das gleiche tun können? Er kann es nicht, er braucht dazu die Hilfe eines noch größeren Adlers, eines göttlichen Adlers, der Jesus ist, und eben diesen erblickt er in der Mitte der göttlichen Liebessonne! Dieser göttliche Adler liebt nun aber seinen kleinen Bruder, den kleinen Vogel, eben gerade, weil er so klein ist, mit ewiger Liebe, er kommt aus unendlicher Liebe zu ihm auf die Erde herab, er leidet und stirbt für ihn am Kreuz und zieht ihn so zu sich nach oben empor! Dieser Adler der Ewigkeit unter-lässt es aber nicht, seinen kleinen Vogel mit seiner göttli-chen Wesenheit, das heißt mit der heiligen Kommunion zu nähren, wofür der kleine Vogel ihm unendlich dankbar ist, weil er weiß, dass er ohne seinen göttlichen Freund ins Nichts zurücksinken würde! Wie kann der kleine Vogel nun aber denn seine übergroße Dankbarkeit ausdrücken? Indem er sein ganzes Vertrauen grenzenlos auf den großen Adler setzt! Und weil der kleine Vogel so sehr auf seinen göttlichen Adler vertraut, kann dieser nicht anders: Er nimmt seinen kleinen Freund auf seinen göttlichen Flügeln mit hinauf, der ewigen Liebessonne entgegen!

Was hat diese Geschichte von dem kleinen Vogel und dem göttlichen Adler aber denn nun mit uns zu tun? Sehr viel, denn der kleine Vogel ist nicht nur ein Sinnbild für die kleine Thérèse, sondern auch für uns! Der kleine Vogel ist ja zu schwach, um aus eigener Kraft zu Gott emporfliegen zu können! Sind wir das nicht auch? Der kleine Vogel übt aber immer wieder sein Amt der Liebe und lässt sich durch seine alltäglichen Treulosigkeiten nicht von dieser einzig notwendigen Aufgabe abbringen! Können wir das so nicht auch tun? Und schließlich: Der kleine Vogel setzt sein ganzes Vertrauen bis zur Verwegenheit auf die ewige Liebe Gottes! Können wir das nicht auch? Wenn wir diese beiden Dinge tun: die Liebe üben und unser ganzes Ver-trauen auf den göttlichen Adler setzen, dann wird Jesus auch mit uns am Ende unseres Lebens zum Flammenherd der ewigen Liebe zurückfliegen und uns in die ewige Gemeinschaft mit ihm und allen Heiligen aufnehmen!

Und was hat das alles mit dem Kleinen Weg der kleinen Thérèse zu tun, den sie doch eigentlich in ihrem Brief an ihre Schwester Marie erklären wollte? Die Geschichte vom kleinen Vogel und dem göttlichen Adler beschreibt nichts anderes als eben den Kleinen Weg, der darin besteht, dass ich durch meine Werke der Liebe zu Gott gelangen will, dass ich dann aber merke, dass mir das wegen meiner menschlichen Schwachheit nicht gelingt, dass ich dann aber mein ganzes Vertrauen auf den göttlichen Adler setze und er mich schließlich dank meines kleinen guten Willens und dank meines unendlichen Vertrauens auf seine göttliche Barmherzigkeit zu sich emporheben wird! Er-scheint es uns aber denn jetzt immer noch zu schwer, zu der ewigen Liebessonne, zu dem ewigen Feuerherd der glückseligen Dreifaltigkeit gelangen zu können? Amen.